Der Entschluss war also gefasst. Trish wollte nach Parisé. Aber wie sollte man das anstellen? Immerhin hatte sie noch nie von dieser Insel gehört und auch die Damen aus den Reisebüros, die Trish in den nächsten Stunden anrief, waren mit der Frage völlig überfordert und konnten ihr keine Auskunft geben. Grübelnd und vor sich hin murmelnd ging Trish, in dem schmalen Motelzimmer, auf und ab und versuchte fieberhaft eine Lösung für dieses Problem zu finden. Die Karte hatte sie wieder hervor geholt und auf dem Bett, neben all den anderen Zetteln, ausgebreitet. Immer wieder warf sie einen Blick darauf, in der Hoffnung ihr würde die Lösung ins Gesicht springen, aber nichts.
Resigniert ließ Trish sich, als die Sonne unterging, auf das Bett fallen, starrte an die vergilbte Decke und ließ die Gedanken einfach kreisen. Nun endlich konnte sie beginnen die Geschehnisse der letzten Nacht aufzuarbeiten. Doch die zwei Stunden Schlaf der letzten Nacht machten sich bemerkbar, so das ihr die Augen bald zufielen.
Fast traumlos schlief Trish. Nur vereinzelte Bilder huschten ab und an vor ihren Augen dahin und wühlten Gefühle, oder Gedanken auf. Und dann war da der Brief... das Datum und... eine Adresse! Sofort war Trish hell wach und setzte sich auf. `Warum bin ich da nicht früher drauf gekommen?´ Der Brief war von Parisé aus abgeschickt worden und tatsächlich stand auf der Rückseite eine Adresse. Ein Mann namens Paolo Tomaselli hatte den Brief an Adrian geschickt und seine Adresse vermerkt.
Ein breites Lächeln erhellte die finstere Mine in Trishs Gesicht. In aller Eile sammelte sie alles ein und verfrachtete es unliebsam in der Tasche. Nur die Karte und den Umschlag des Briefes steckte sie in die Innentasche ihrer Jeansjacke, bevor sie das Zimmer verließ. Sie hatte für zwei Nächte bezahlt, also konnte sich der Inhaber nicht darüber beschweren das sie nun verschwand. Im Gegenteil. Vielleicht sollte er froh darüber sein, denn Trish hatte sich erst vorgenommen sich über die miserablen Zimmer zu beschweren.
Ein Taxi brachte die junge Frau in die Innenstadt, wo Trish mit ihren weiteren Recherchen begann. Ihre erste Anlaufstelle war ein kleines Reisebüro, in dem ein dicklicher Mann saß und sie durch seine Brille fragend ansah. “Eigentlich haben wir schon geschlossen junge Dame.“
“Es tut mir leid. Können sie nicht eine Ausnahme machen? Ich brauche unbedingt ein paar Informationen.“ Entgegnete Trish mit dem bezaubernsten Lächeln, das sie zu bieten hatte und tat ein wenig dümmlich. “Also gut, also gut. Es ist ja im Grunde meine Schuld. Ich hätte ja auch absperren können. Dann zeigen sie mal her. Wobei kann ich helfen?“
Mit einem freudigen Hüpfer kam Trish auf den Mann zu, der hinter seinem Computer saß und nun seine Brille ablegte. “Ich hab hier eine Adresse und eine Karte, die sie sich bitte einmal ansehen möchten.“ Sagte sie dann, während sie emsig in ihren Taschen wühlte und die beiden Zettel auf den Tisch legte, um dem Mann die Stelle zu zeigen, für die sie sich interessierte.
Ein skeptischer Blick streifte die blauen Augen der jungen Frau, die erwartungsvoll drein blickte. “Nun ja. Ich kann natürlich mal in meine Daten sehen, aber den Namen dieser Insel habe ich noch nie gehört.“ Fleißig begann der Mann, der laut Namensschild Edgar Pollini hieß, in seinem Computer nach Daten zu der Insel zu suchen. Trish stand derweil auf und schaute sich neugierig im Laden um. Es war kein sonderlich großer Raum und die Wände waren mit Regalen zugestellt, in denen Massen an Broschüren und Katalogen steckten. Nach wenigen Minuten tippenden Geräuschen sah Edgar auf. “Hier hab ich doch etwas gefunden.“ Sagte er dann und Trish ließ sich erwartungsvoll auf dem Stuhl nieder. “Einen Flug kann ich ihnen nicht anbieten. Aber wenn sie bis Seattle fliegen, können sie von dort aus mit dem Zug an ihr Ziel gelangen.“ Präsentierte er stolz seine Suchergebnisse und Trish war mehr als begeistert. “Ich danke ihnen. Können sie das gleich buchen?“
“Natürlich.“ Antwortete Edgar und begann wieder zu tippen, bis der Drucker zu rattern anfing und mehrere Zettel ausspuckte. “So, das wäre geschafft. Hier haben sie die Tickets für den Flug und die Weiterreise mit dem Zug. Und hier.....“ Kurz wuselte Edgar in den Papieren, bis er den Gewünschten gefunden hatte und vor Trsih ausbreitete. “....haben sie die Fahrpläne mit den Abfahrtszeiten. Das Ganze kostet dann 180$.“
Dankend zahlte Trish die geforderte Summe, nahm die Papiere, verabschiedete sich freundlich und verließ dann das Reisebüro mit einem zufriedenen Lächeln. Die Richtung war klar. Der Flughafen war ihr erstes Ziel.
Nach etlichen Flugstunden ertönte endlich die Stimme des Kapitäns, der den Anflug auf Seattle ankündigte. Dieses Gesäusel war für Trsih ihren dröhnenden Schädel kaum auszuhalten und sie war froh als es mit einem Knacken in der Leitung endete. Vom Schlaf noch leicht benommen schaute Trish aus dem schmalen Fenter auf das Lichtermeer unter ihr. Diese Stadt sah nicht anders aus, als jede andere, die Trish aus einem Flugzeug betrachtet hatte. Und doch empfand sie anders bei dem Anblick. Mit dieser Stadt war sie ihrem Ziel ein riesiges Stück näher gekommen.
Erleichtert, endlich diese Höllenmaschine verlassen zu können, atmete Trish tief durch, als sie neben den anderen Fluggästen ausstieg. Kaltes Licht aus Neonröhren, die von der Decke hingen, schmerzte in ihren Augen, die bis eben noch im Land der Träume verweilt hatten. Es dauerte ein paar Minuten, damit sie sich daran gewöhnen konnte. Dazu kamen noch diese verfluchten Kopfschmerzen, die einfach nicht verschwinden wollten.
Schon recht entnervt wartete Trish an dem Laufband, auf dem sich die Taschen und Koffer tummelten. Es wirkte fast wie ein Verkehrschaos auf einer Autobahn. Und doch konnte Trish ihre beiden Reisetaschen relativ schnell erhaschen. Ihr war die Menschenmasse gerade völlig über. Alte Damen drängelten sich gegenseitig um die „besten“ Plätze, als hätten sie keine zwei Minuten Zeit mehr auf ihr Gepäck zu warten. Mit einer vor Unverständnis triefender Mine zwängte Trish sich durch die Wartenden. `Warum müssen alte Frauen nur immer so komisch riechen?´ Fragte sie sich still, schaute noch einmal zurück und schüttelte sich unwillkürlich. Ein schneller Blick auf die Uhr verriet ihr dann das sie sich besser ein wenig beeilen sollte. Der Zug in Richtung Parisé würde schon in fünfundzwanzig Minuten abfahren. Also nahm Trish die Beine in die Hand und sprintete zum Ausgang. Die schimpfenden Menschen, die sie dabei anrempelte, beachtete sie gar nicht.
Das erst beste Taxi, schnappte Trish einem recht versnobt wirkenden Ehepaar vor der Nase weg und nannte dem Fahrer ihr Ziel. “Schaffen sie es in zwanzig Minuten? Ich würde auch noch Geld drauflegen?“ Bat Trish gehetzt und schaute den Mann flehend an. “Lassen sie das mal meine Sorge sein. Es gibt kaum etwas, das ich für Geld nicht schaffe.“ Grinste er breit in den Rückspiegel und gab seinem Wagen die Sporen. Dankbar lehnte Trish sich zurück und betrachtete die bunten Lichter, die an den nassen Scheiben vorbei flogen.
Und tatsächlich. Nach nur fünfzehn Minuten hielt das Taxi direkt vor dem Haupteingang des Bahnhofes. “Da wären wir.“
Trish warf einen kurzen Blick auf die Anzeige, wo der Betrag aufleuchtete und gab dem Fahrer dann zwanzig Dollar Trinkgeld. “Dankeschön!“ Rief er ihr hinterher, als Trish schon ausgestiegen und auf dem Weg zum Eingang war.
Die gläsernen Türen öffneten sich vor ihr und Trish betrat die nicht gerade kleine Eingangshalle. Hektisch suchte sie nach einem Schild, auf dem die Bahnsteignummer für ihren Zug standen, konnte aber keines entdecken. Der Informationsschalter musste herhalten. Und das Blondchen hinter der Glasscheibe schien ein wenig überfordert mit der Frage, die Trish ihr entgegen brachte. “Einen Moment. Ich suche schnell danach.“ Kam leise über ihre Lippen und Trish trommelte nervös auf die schmale Ablagefläche vor der Scheibe, während sie jede Bewegung der Blondine verfolgte. `Das kann doch so schwer nicht sein!´ Immer wieder sah sie auf die Uhr, dessen Zeiger einfach nicht langsamer laufen wollten, bis endlich die Antwort kam. “Gleis sieben.“ Piepste die Frau und schon war Trish verschwunden. Kein Dankeschön, nicht einmal einen dankenden Blick schenkte sie der Blondine und verschwand zwischen den anderen Reisenden.
`Sieben, sieben, sieben.... – verflucht noch mal. – Sechs ist da, drei da... aber wo zur Hölle ist sieben?´ Verwirrt drehte Trish sich um die eigene Achse und suchte nach der verheißungsvollen Zahl. `Noch vier Minuten! – Das schaffe ich ja nie!´ Aufgebracht, über so viel Fehlplanung, rauschte sie weiter durch die Gänge, die einfach kein Ende nehmen wollten. Und da endlich. Neben der zwölf prangerte tatsächlich ihre Zahl. Die Sieben.
Mit riesigen Sprüngen, immer drei Stufen gleichzeitig nehmend, stürmte Trish die Treppe zum Gleis hoch, auf dem glücklicher Weise noch der Zug stand.
Ein großer Mann mit Trillerpfeife stand schon an einer der Türen und wollte gerade das Zeichen zur Abfahrt geben, als Trish an ihm vorbei huschte und mit einem eleganten Satz im Zug landete.
Völlig ausser Atem setzte sie sich in ein leeres Abteil und ließ ihre Taschen einfach fallen. `Wie kann man nur Gleis acht, neben drei und sieben neben die zwölf legen? – So viel Dummheit gehört eigentlich bestraft.´ Dachte Trish, als der Pfiff der Pfeife ertönte und sich der Zug kurze Zeit später in Bewegung setzte. Das Zeichen, das sie nun auf ihr Ziel zurollte.
Das tiefe Dunkel der Nacht machte es fast unmöglich auch nur das Geringste zu erkennen, wenn man aus dem Fenster sah. Und so gab Trish es bald auf hinaus zu starren. Statt dessen kramte sie ihr Tagebuch hervor und begann die Erlebnisse der letzten Nächte in Worte zu fassen. Allerdings erwies sich dieses Unterfangen schwerer, als angenommen. Es war so viel passiert und sie hatte nur so wenig Zeit gehabt sich eingehender damit zu beschäftigen, sodass es ihr jetzt schwer fiel wenigstens einige annehmbare Zeilen zu Papier zu bringen.
Es war zum Verzweifeln. Zwar war Trish gerade dabei einen neuen Anfang zu machen und ihre Vergangenheit vielleicht endlich nicht mehr im Nacken zu haben, aber es wollte ihr nicht gelingen froh darüber zu sein. Die Frage was sie auf dieser Insel erwartete spukte in ihrem Kopf herum und dazu kam das sie wieder einmal eine Person verloren hatte, die ihr sehr viel bedeutet hatte.
Wie lange sie schon in diesem Zug saß, wusste Trish nicht, als die mechanische Stimme durch die Lautsprecher dröhnte und die Ankunft in Parisé verkündete. Es blieben noch drei Minuten, bis Trish ihre Füße auf den Boden der Insel setzen würde und so langsam wurde sie richtig kribbelig. Ob sie hier wirklich Antworten finden würde? Vielleicht sogar Andere ihrer Art, die ihr Erklärungen geben könnten? Was wenn das alles eine einzige Enttäuschung werden würde? `Nein.´ Trish schüttelte den Kopf. Sie war sich sicher hier alles Erhoffte zu finden.
Der Zug hielt und Trish stand schon mit den Taschen an der Tür, die sich wenige Augenblicke später automatisch öffnete. Mit einem angenehmen Kribbeln trat sie aus dem Zug und schaute sich erst einmal um. Wohin sie jetzt wollte, konnte sie selbst nicht sagen. Vielleicht würde sie den Mann aufsuchen, der Adrian den Brief geschrieben hatte. Oder sie würde einfach auf eigene Faust versuchen weiter zu kommen.
Mit langen Schritten folgte Trish dem grünen Schild, auf dem Exit stand, kaufte an einem kleinen Geschäft einen HotDog und an einem Anderen einen Reiseführer und verließ dann den Bahnhof.
Hier stand sie nun. In dem unmenschlichsten Wetter, das sie seit Jahren erlebt hatte und wusste nicht recht wohin.
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